Ein schwerer Abschied

+++ACHTUNG+++ Beitrag über Kirche und so!!

Irgendwie erstaunlich, wie schwer mir dieser Abschied doch gefallen ist, wie sehr es mich doch mitgenommen hat. Und doch eigentlich völlig verständlich. Gestern fand in der Kirche die feierliche Verabschiedung von Pastor Röttger statt, und das war im Endeffekt doch sehr emotional für mich.

Zugegeben, ich bin in der Kirche schon seit Jahren nicht mehr so engagiert, wie ich es einmal war, und auch nicht so engagiert, wie ich es manchmal wirklich gerne wäre. Eigentlich sieht man mich in der Kirche schon seit Jahren nur noch zum Schulgottesdienst und, wenns hochkommt, an Weihnachten und Ostern. Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren ich schon keine gewöhnliche Sonntagsmesse mehr besucht habe. Ich wurde auch nie allzu christlich erzogen. In die Kirche ging es bei uns meist ebenfalls nur zur Christmette und an Ostern, Sonntagsmessen waren für mich schon damals eher die Ausnahme. Aber trotzdem war die Kirche irgendwie präsent, sie war schon… da. Mit 10 Jahren wurde ich dann auch Messdiener, wenn auch eher unfreiwillig, da ich als Begleitung für meine kleine Schwester mitgehen musste. Ich war allerdings im Endeffekt gerne Messdiener, auch wenn es rückblickend – glaube ich – nur knapp vier Jahre waren. Ich fand meine „Heimatkirche“ in Hüsten immer schön und ich habe es meistens wirklich genossen, dort zu sein, auch wenn es sonntagsmorgens um 8:30 war. Leider wurde mit meinem Umzug das Messdienern in Hüsten logistisch ungünstig, aber in Herdringen hatte ich wirklich keinen Ansporn dazu, deshalb gab ich mit 13 Jahren das Messdienern auf. Damit wurde mein Kontakt mit der Kirche weitestgehend auf den Schulgottesdienst beschränkt – auch wenn dies auf einer katholischen Schule natürlich immer noch weitaus ausgeprägter ist als auf staatlichen Schulen – aber diese Schulgottesdienste fanden natürlich nicht in „meiner“ Kirche in Hüsten statt, denn die Schule steht nunmal in Neheim und in den Kirchen dort fanden demnach auch die Gottesdienste statt. Trotzdem war die Hüstener Petrikirche für mich weiterhin ein Stück Heimat und Kindheit, zu der ich auch in der Firmvorbereitung 2013 gerne zurückkam. Es war einfach so viel mit dieser Kirche verbunden.

Und dann kam für mich vor knapp zwei Wochen der Schock. Wir bekommen zu Hause leider keine Tageszeitung, aber durch mein Praktikum bei der Zeitung bekam ich ja jetzt einen Monat lang Dinge mit. Und als ich an einem Tag in der Redaktion saß, gerade nichts zu tun hatte und die Ausgabe für den nächsten Tag am Computer durchblätterte, sah ich eine kleine Meldung am Rand, die verkündete, dass Pastor Röttger am Sonntag, den 31.07. seine Abschiedsmesse geben würde. Moment, Abschiedsmesse?! Offensichtlich hatte ich dadurch, dass ich mit der Hüstener Gemeinde kaum noch bis gar keinen Kontakt mehr hatte, gehörig was verpasst. Die Meldung kam für mich vor allem als solcher Schock, weil ich mir sicher war, dass Pastor Röttger auf keinen Fall älter als Anfang 50 sein konnte und ich niemals auch nur die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, dass er in absehbarer Zeit sein Amt niederlegen würde. (Im Endeffekt stellte sich heraus, dass ich recht hatte, Pastor Röttger ist erst 49.) Wie ich später in Bruchstücken von Freunden und Bekannten erfuhr, wird er jetzt ein Jahr in Frankreich und Amerika verbringen, was danach kommt, weiß ich nicht, anscheinend ist aber eine Rückkehr zu uns bisher noch nicht geplant. Wie meine Mutter sagte, als ich ihr am Telefon von Pastor Röttgers Abschied erzählte, „Das ist traurig für Hüsten, für die Gemeinde. Der hat da echt viel bewegt in den letzten Jahren.“ Wie gesagt, meine Mutter war auch nie die religiöseste Person auf dieser Welt, doch das fand selbst sie.

Natürlich ist es traurig für die Gemeinde, einen Pastor zu verlieren, der immer viel Gemeindearbeit geleistet hat und es geschafft hat, Messdiener zu animieren und die „eigene“ Kirche mehr oder weniger voll zu halten. Aber für mich ganz persönlich ist es furchtbar traurig, Pastor Röttger gehen zu sehen, denn für mich war er immer der Pastor ist Hüsten. Theoretisch habe ich vor ihm einen anderen Pastor erlebt, an den ich aber nur eine einzige, sehr verschwommene Erinnerung habe, und der von Röttger abgelöst wurde, als ich fünf Jahre alt war. Davon abgesehen gab es auch immer mehrere ältere Pastöre, die ab und zu in Hüsten die Messe hielten (aber eben nur ab und zu), und natürlich war Röttger auch in den anderen Kirchen der Pfarrei tätig, allerdings habe ich ihn immer „primär“ als den Hüstener Pastor wahrgenommen, immerhin lebte er auch in Hüsten. Somit war er in meiner Kindheit immer der Pastor, und somit war in mir auch recht schnell der Entschluss gefasst, dass ich diese Abschiedsmesse unbedingt besuchen wollte.

Als meine Schwester und ich also um etwa 14:35 in der Kirche ankamen – die Messe sollte um 15:00 beginnen – war diese schon rappelvoll. Die Bänke waren allesamt schon besetzt, im hinteren Teil waren noch einige beigestellte Stühle frei, die allerdings reserviert waren, auch standen im hinteren Teil schon einige Leute. So stellten wir uns also dabei und warteten auf den Beginn der Messe. Dieser kam – wenig überraschend – mit einem großen Einzug durch den Turm, aber einen solchen Einzug hatte ich in dieser Kirche noch nicht erlebt. Um ehrlich zu sein, auch in keiner anderen Kirche. Selbst der große Einzug in der Osternacht schien dagegen gewöhnlich. Zuerst kamen sicherlich 8 oder 10 Fahnenträger – ich habe keine Ahnung, wofür die ganzen Banner überhaupt standen, aber noch viel mehr verschiedene hätte man wahrscheinlich gar nicht auftreiben können. Es folgten mehrere Messdiener und dann so viele Männer in Priestergewändern, wie ich noch nie auf einem Haufen gesehen hatte, dazu unser Gemeindereferent in einem schlichteren Gewand, zwei evangelische Priester (bzw. ein Priester und eine Priesterin) und eine Nonne, und ganz zuletzt Pastor Röttger selbst. Ich hatte zwischendurch weggesehen, weil sich der Einzug doch etwas in die Länge zog, als meine Schwester mich anstieß und auf einen Punkt etwas weiter vorne in der Schlange zeigte – ich bin fast ausgerastet. SCHWEINI!!

Nur um Missverständnisse zu verhindern – nicht der echte Schweini. Also, nicht Bastian Schweinsteiger aus der Nationalmannschaft. „Unser“ Schweini heißt eigentlich Nils Petrat und war einige Jahre lang in Hüsten Vikar – rückblickend waren auch das nur gut drei Jahre, seltsam, das kam mir deutlich länger vor. Wenn man will, hat Nils Petrat schon einige äußerliche Ähnlichkeit mit Bastian Schweinsteiger, deshalb hatte er den Spitznamen – zumindest bei einigen – relativ schnell weg. Ich persönlich habe Schweini immer furchtbar gern gehabt, weil er einen unglaublich großen Fokus auf die Jugendarbeit in der Gemeinde gelegt hat und sich dabei einfach für nichts zu schade war. Ich erinnere mich noch an die Messdienerschneetage, alljährliche Ausflüge zu einer großen Rodelbahn in Winterberg, auf der es zum Abschluss immer auf einer freien Fläche eine Schneeballschlacht zwischen Leitern und Messdienern gab – und Schweini immer mittendrin, mit sichtlich Spaß bei der Sache, ein geweihter Priester in einer Schneeballschlacht. Es hat mit Schweini einfach immer Spaß gemacht. Er ging dann leider nach Paderborn – seitdem habe ich nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. (Das heißt, ich habe ihn einmal gesehen, als ich in Paderborn im Dom zur Nacht der Lichter war, aber das zählt nicht wirklich.)

Schweini war also jetzt in der Messe – was das ganze für mich noch einmal auf ein ganz neues Level hob. Wie ich später in der Messe erfuhr, war auch sein Vorgänger als Vikar gekommen, an den ich auch noch entfernte Erinnerungen habe, und auch weitere frühere Weggefährten und Kollegen von Pastor Röttger, die mit ihm seinen Abschied feiern wollten. Die Messe selbst zog sich vor allem gegen Ende durch ewige Reden von verschiedenen Leuten lange hin, doch das war es mir wert. Ich hatte unbedingt da sein wollen, ich war froh, dass ich da war, und dafür war es mir das lange stehen auf hohen Schuhen in einer völlig überfüllten und deshalb brütend warmen Kirche auch wert. Über zwei Stunden vergingen, bis der abschließende Segen gegeben wurde, zwei Stunden, in denen ich mehr als einmal den Tränen nahe war, oft weniger wegen dem, was gesagt wurde, sondern wegen der Stimmung und Atmosphäre, die in der Kirche herrschten – schon der Einzug, zu dem der Kirchenchor ein wunderschönes mehrstimmiges Stück sang, rührte mich fast zu Tränen. Letztendlich habe ich es tränenfrei durch die Messe geschafft – wenn auch nur knapp.

Nach dem Ende der Messe sollte in der Schützenhalle gleich neben der Kirche noch ein Empfang stattfinden, oder, wie Pastor Röttger es bezeichnete, „es ist jeder herzlich eingeladen, noch mit mir bei Bratwurst und Bier zu feiern“. Das klang doch schön sauerländisch-normal. Ich hatte tatsächlich ursprünglich vorgehabt, noch mit in die Schützenhalle zu gehen, zumindest kurz, und einmal zu Röttger zu gehen, die Hand zu schütteln und auf Wiedersehen, viel Glück und vor allem Danke zu sagen. Denn einen Pastor der Kindheit bekommt man nur einen – da sollte man sich an irgendeiner Stelle schon mal bedanken, und dies würde womöglich, wenn auch nicht hoffentlich, meine letzte Chance. So hatte ich wirklich vorgehabt, kurz mit in die Schützenhalle zu gehen, doch als ich reinkam, sah ich, dass in der Halle lange Tische mit weißen Tischdecken aufgestellt worden waren, auf der Bühne eine Art Rednerpult stand und die ganze Veranstaltung insgesamt deutlich offizieller zu werden versprach, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich war zu allem Überfluss jetzt auch noch alleine, da meine Schwester noch verabredet und daher schon gegangen war. Und sich ganz allein als so ziemlich einzige Jugendliche unter die vielen Erwachsenen auf so ein offizielles Event zu setzen, das wollte ich nun doch nicht. Davon abgesehen war ich selbst auch noch verabredet, und die Messe hatte schon deutlich länger gedauert, als ich eingeplant hatte, daher hatte ich auch nicht ganz so viel Zeit. Deshalb entschied mich, ganz stalkermäßig, vor der Schützenhalle zu warten, weil ich mir dachte, Röttger kommt sowieso so ziemlich als letzter von der Kirche rüber. Sollte ich auch recht mit behalten, auch wenn er nicht ganz der letzte war. Ich hab ihm dann die Hand geschüttelt und mich bedankt und er hat mir alles Gute für meinen weiteren Lebensweg gewünscht und ich ihm dann auch und… um ehrlich zu sein, irgendwie ging das so schnell, dass ich es gar nicht mehr genau weiß. Ich fand es aber wirklich schön, dass er mich noch erkannt hat. Er wusste meinen Namen zwar nicht mehr – vermute ich mal, er hat es auf jeden Fall vermieden, mich mit Namen anzusprechen – aber das ist ja mehr als verständlich, als Pastor hat er mit so vielen Leuten zu tun, und ein Mädchen, mit dem man seit fünf Jahren nichts mehr zu tun hatte und das damals 13 Jahre alt war, ist nunmal nicht  die erste Person, an deren Namen man sich erinnert. Sogar noch nach ihm kam Nils Petrat, dem ich natürlich auch erstmal die Hand schütteln musste, einfach weil ich so selten die Gelegenheit dazu habe. Ich war nie so wirklich gut im Smalltalk – naja, eigentlich bin ich grottig darin – aber wir haben uns kurz ein bisschen unterhalten, und es war wirklich, wirklich nett. Er hat mich sogar gefragt, ob ich auch noch mit in die Schützenhalle kommen würde, was ich ja nun leider absagen musste, weil ich ja noch verabredet war. Auch Schweini hat mich offensichtlich noch erkannt, was ich auch super fand, immerhin hat er seit fünf Jahren ein komplett neues Umfeld, und dass er sich dabei noch an Gesichter aus Hüsten erinnert – vor allem weil er mit mir ja nie wirklich viel zu tun hatte – war für mich total angenehm. Menschlich. Auch er hat sich zwar, vermute ich, nicht mehr an meinen Namen erinnert, aber das ist ja, wie gesagt, verständlich.

Insgesamt bin ich nach der Messe quasi nach Hause geschwebt, es war unglaublich schön für mich, in der Kirche einfach ein Stück weit nach Hause zu kommen. Und Fakt ist: auch wenn ich nicht streng katholisch aufgewachsen bin, so wurde ich doch christlich genug erzogen und hatte genug Kirche in meinem Leben, dass mir die Verabschiedung meines „Kindheitspriesters“ genug bedeutete, um über zwei Stunden lang in einer übervollen, heißen Kirche zu stehen. Danke, Mama, danke, Papa, es bedeutet mir wirklich viel. Ein gewisses Gefühl von Heimat und Kindheit wird mir die Kirche immer vermitteln können. Und das, finde ich, ist etwas unglaublich Schönes.

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