Jetzt doch die Angst

Die letzten zwei Wochen haben die öffentliche Wahrnehmung erneut erschüttert. Beginnend mit dem LKW-Anschlag in Nizza nahm eine Reihe von Anschlägen auf das öffentliche Leben ihren Lauf, deren Ereignisse zwar zum größten Teil nicht zusammenhingen, was aber keinen Unterschied macht, denn von der Öffentlichkeit werden sie schon allein wegen der kurzen zeitlichen Abstände dazwischen als zusammenhängende Folge von Ereignissen angesehen. Und da jetzt zum ersten Mal auch Deutschland von den Anschlägen betroffen war, merkt man jetzt auch hierzulande die Angst, dass es womöglich auch einen selbst treffen könnte. Und genau daran versagt die Gesellschaft gerade.

Die Grundeinstellung wurde nach den Anschlägen von Paris im November 2015 von vielen angenommen und vor allem im Social Media verbreitet, als im großen Stil mehrere Plätze des öffentlichen Lebens angegriffen wurden, unter anderem eine Konzerthalle und mehrere Cafés: wir dürfen uns von den Terroristen nicht unser Leben nehmen lassen. Wir müssen weiter leben. Leute, besucht weiter Konzerte, Weihnachtsmärkte, meidet keine Plätze des öffentlichen Lebens. Lasst diese Terroristen sehen, dass wir keine Angst haben, dass wir unsere Freiheit weiter leben. Das funktionierte in Deutschland auch bisher ganz gut. Obwohl die Anschläge in Paris und Brüssel relativ „nah an uns dran“ waren im Vergleich zu den – leider – fast schon „alltäglichen“ Anschlägen im Nahen Osten, so fühlte man sich doch trotzdem immer noch mehr oder weniger sicher, so lange das eigene Land nicht selbst zum Ziel geworden war. So lange man selbst nicht direkt involviert war, war es relativ einfach zu sagen, dass man sein Leben einfach weiterleben muss. Doch nach den Anschlägen in Würzburg und München, in Ansbach und Reutlingen, und einer Bombendrohung in der Dortmunder Thier-Galerie, bemerkt man auch hier, wie sich Angst breitmacht. 

Immer mehr verbreitet sich die Einstellung, dass es in Ordnung ist, Angst zu haben. Die Menschen, die vor einem halben Jahr mit der Einstellung „Habt keine Angst, lebt weiter“ um sich warfen, finden jetzt, dass Angst durchaus berechtigt ist. Und natürlich ist sie das auch. Es gibt in unserer Umgebung immer wieder Anschläge, natürlich ist eine gewisse Angst, dass man selbst bald betroffen sein könnte, durchaus berechtigt. Und doch war diese Angst auch schon „berechtigt“, bevor Deutschland selbst zum Ziel wurde. Dadurch, dass es einen Anschlag in einem Land gab, wird es nicht automatisch whrscheinlicher, dass es noch einen oder mehrere weitere geben wird. Demnach war es vor dem Amoklauf in München nicht unwahrscheinlicher, dass es einen auch selbst treffen könte. Und doch macht sich die Angst erst jetzt breit. Irgendwie tragisch, und, meiner Meinung nach, völlig falsch.

Natürlich darf man Angst vor Anschlägen haben. Seien sie nun terroristischer, fremdenfeindlicher oder einfach gar keiner Natur. Aber diese Angst hätte theoretisch vor München schon da sein sollen. Wenn man vorher keine Angst hatte, wenn man im letzten Dezember sorglos über Weihnachtsmärkte geschlendert ist, seitdem auf Konzerten war oder ein Fußballspiel besucht hat, dann sollte man jetzt genauso wenig Angst haben. Denn wirklich geändert hat sich nichts. Es ist nur das erste Mal, seit die öffentliche Wahrnehmung sich so verschärft hat, auch in Deutschland etwas passiert, was vorher nur durch Zufall noch nicht passiert war, und das ändert an der Lage so wirklich nichts.

Natürlich kann man nicht sagen, dass in Deutschland zuvor „noch nichts“ passiert war. Die große Verschiebung der Wahrnehmung wurde vor allem durch München bewirkt. Wie inzwischen bekannt ist, handelte es sich dabei um einen – höchstwahrscheinlich fremdenfeindlichen – Amoklauf. Nunja, Amokläufe hat auch Deutschland in seiner Geschichte schon einige hinter sich gebracht, man denke nur an Winnenden 2009 mit 16 Toten, und auch, dass der Täter danach flüchtete, kam nicht zun ersten Mal vor. Und fremdenfeindliche Gewalt ist in Deutschland nun ebenfalls beileibe nichts neues mehr, wenn man sich an all die Asylheime und geplanten Asylheime erinnert, die vor allem 2015 in Flammen aufgingen, und wo bei jedem neuen Fall, nach dem es hieß „die Polizei hält Brandstiftung für möglich“, man sich nur dachte „ach, meint ihr?!?!“ Gewalt gegen Einwanderer ist ebenfalls schon seit einer Weile traurige Realität in Deutschland. Und somit hat der Amoklauf von München beileibe nichts, weshalb man sagen könnte „so etwas ist in Deutschland vorher noch nicht passiert“. Es wird nur von allen als erster „Anschlag“ auf Deutschland wahrgenommen, da sich ein neues Bewusstsein für schreckliche Ereignisse ausgebildet hat, seitdem die Welt in Schrecken vor dem IS lebt. Obwohl dieser mit München nun wirklich nichts zu tun hat, und dies der Öffentlichkeit auch durchaus bewusst ist, lässt sich das Gefühl doch scheinbar nicht abschütteln. Was auf seine Art schon tragisch ist.

Denn nun breitet sich die Angst doch aus, Angst vor öffentlichen Plätzen, vor Menschenmengen, davor, dass man selbst als nächstes dran sein könnte. Viele wollen Angst haben dürfen. Ich finde es weiterhin nicht nötig, Angst zu haben, nicht nötiger als zuvor zumindest. In meinen Augen ändert der Fakt, dass Deutschland schon einmal Ziel zweier (kleinerer) terroristischer Anschläge war (Würzburg und Ansbach) nichts an der Wahrscheinlichkeit, mit der es mich als nächstes treffen könnte. Die war vorher schon genauso hoch, und da hatte ich auch keine Agnst. Und ich werde weiterhin keine Angst haben. Ich werde weiter keine Menschenansammlungen meiden und weiter auf Konzerte gehen und weiterhin zeigen, dass ich mich in meiner Freiheit wirklich nicht einschränken lasse. Und falls es mich tatsächlich treffen sollte – woran ich nicht glaube – dann sollte es wohl so sein. Aber dadurch werde ich mir mein Leben nicht vermiesen lassen. Nicht durch Angst. Nicht so. Niemals. Und ich bin der Meinung, dass viel mehr Menschen auch weiterhin an dieser Einstellung festhalten sollten, denn im Endeffekt können wir es sowieso nicht ändern. Dann ist es doch schöner, vorher weiterhin so gelebt zu haben wie bisher. Oder etwa nicht?

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